Macht oder Menschlichkeit – Wie geht UnternehmensERfolg?

21. Feb 2022 | 2 Kommentare

Am 8. Februar ist Götz Werner, der Philanthrop, Goethe-Liebhaber und DM-Gründer im Alter von 78 Jahren gestorben. Egal wie man zu seiner geistig-geistlichen Heimat der Anthroposophie steht, kann man sagen, dass sein ganzes unternehmerisches und öffentliches Wirken menschenzentriert und menschenliebend war. Aus seiner Sichtweise über das „Wesen des Menschen“ leitete er alles ab: seine Führungsphilosophie, seine Einstellungspraxis, seine Unternehmensorganisation, sein Denken zum Unternehmertum und zum Unternehmenserfolg. Der Mensch, also in erster Linie der Mitarbeiter, der Kunde, der Lieferant steht mit seiner Individualität, seinen Fähigkeiten, Begabungen, Interessen und Bedürfnissen im Zentrum allen Tuns und die wesentlichste Fähigkeit eines Unternehmers, Managers und Führungskraft ist jene der Beobachtung und der Wahrnehmung dieser Potenziale und Eigenschaften und der entsprechenden Reaktion hierauf. Der Unternehmer als Diener, als „Ermöglicher“ zur Selbstentwicklung anderer, das war sein Credo. Und damit hatte Götz Werner auch großen wirtschaftlichen Erfolg.

Am 18.10.2021 veröffentlichte die Wissenschaftsredaktion der Welt einen Artikel über die „dunkle Triade“.  Die dunkle Triade beschreibt die extrem ausgeprägte Kombination einer Persönlichkeit aus Narzissmus, Machiavellismus und Psychopathie, deren augenfälligste Eigenschaft die Rücksichtlosigkeit verbundenen mit einem (unwiderstehlichen) Charisma ist. Der Artikel berichtet über verschiedene Untersuchungen, die allesamt belegen, dass dieser Typus Mensch häufig in Führungspositionen sitzt und dort auch schneller hinkommt, weil solche Eigenschaften dort scheinbar erfolgversprechender sind.  Erfolg also durch Rücksichtlosigkeit und auf Kosten anderer. Erfolg orientiert sich hier an einer Grammatik der Macht. Ein gänzlich anderes Erfolgsrezept als jenes von Götz Werner. Doch welches ist auf Dauer erfolgreicher?

 

Die Grammatik der Macht

Die von Max Weber definierte und bis heute weitgehend akzeptierte Unterscheidung von Macht und Herrschaft beschreibt Macht als „unterschiedlich große Handlungsspielräume“ in der Beziehung zwischen Menschen, Organisationen und Staaten, die von einem Abhängigkeitsverhältnis geprägt sind, in dem der Schwächere dem Stärkeren ausgeliefert ist und der Stärkere seinen Willen auch gegen Widerstände des Schwächeren durchsetzen kann. Herrschaft dagegen bezeichnet Weber als regelbasierte und anerkannte Macht, wo sich auch der Stärkere an Regeln halten muss und /oder wo der Schwächere die Macht freiwillig anerkennt und entsprechend „gehorsam“ ist. Herrschaft ist also ein regelbasiertes Beziehungsverhältnis in einem klar abgrenzbaren Rahmen (sie ist also nie total) auf der Basis von Freiwilligkeit und gegenseitiger Akzeptanz (z. B. Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Verhältnis oder Bürger-Staat-Verhältnis). Macht dagegen ist ein von Willkür geprägtes asymmetrisches Beziehungsverhältnis von einseitiger Willensdurchsetzung durch den Stärkeren. Herrschaft ist legitimierte und akzeptierte Macht. Weber bezeichnet Herrschaft deshalb auch als „Sonderfall der Macht“. Nicht legitimierte Macht dagegen hat die Grammatik: Ich herrsche auch ohne deine Einwilligung und ich will, dass du gehorchst, ansonsten wirst du bestraft.

 

Die Grammatik der Menschlichkeit

Die Regel der Menschlichkeit ist, dass das „Du“ im Mittelpunkt steht. Das Interesse am „Du“, am Anderen, am Fremden. Das Ich nimmt sich zurück. Menschlichkeit ereignet sich immer in Beziehungen. Im Gegensatz zur Macht aber nur in einer menschlichen Beziehungskonstellation, nicht in einer zwischen Organisationen oder Staaten. Die Menschlichkeit beschreibt eine Art von idealer Beziehung zwischen Menschen: Was bin ich als Mensch meinem Gegenüber schuldig? Was braucht der Andere? Wie soll der Mensch im „Idealfall absoluter Menschlichkeit“ handeln? Idealfall ist dabei der Fall, der beschreibt, wie ein Mensch „sein Wesen als Mensch“ in einen Zustand bringt, der ihn maximal positiv von anderen Spezies unterscheidet. Man könnte sagen, dass es  ein Zustand der Begegnung ist, in dem ein Mensch einen anderen Menschen zweck- und vorurteilsfrei ansieht und anhört, der ihn interessiert und annimmt, der ihn unterstützt, der mit ihm fühlt, der von eigenen Bedürfnissen absieht, der sich im Extremfall auch für den anderen hingibt. Der französische Philosoph Emmanuel Lévinas spricht hier vom Vorrang des Anderen. Mein Engagement gilt dem anderen. Der andere ist Zweck genug. Er darf nie nur Mittel zum Zweck sein, wie Kant mit seinem Postulat der „Selbstzweckhaftigkeit des Menschen“ bemerkte. Dieses Ideal der absoluten Hinwendung und die Möglichkeit der „Selbstaufgabe“ ist neben der Vernunftbegabung und der Abstraktionsfähigkeit die wahrscheinlich wesensmäßig stärkste Eigenart des Menschen. Menschlichkeit ist eine dem Menschen innewohnende Potenzialität. Ob sie aber auch entfaltet werden kann, ist, wie die Klimakrise und Menschheitsverbrechen zeigen, jedoch nicht ausgemacht. Menschlichkeit ist ein Idealfall und wie Herder, dem der Begriff der Menschlichkeit wg. einer gewissen negativen Konnotation nicht gefiel und deshalb über die bedeutungsgleiche Humanität schreibt: „ein Werk, das unablässig fortgesetzt werden muss, oder wir sinken […] zur rohen Tierheit, zur Brutalität zurück.“1

 

Die Grammatik des Erfolgs

Erfolg ist, wenn ein Ziel erreicht wurde. Das Ziel beschreibt dann immer einen (subjektiv) besseren Zustand als den zum Zeitpunkt der Zielsetzung. Das ist so die landläufige Meinung und Definition von Erfolg. Um ein Ziel zu erreichen brauche ich meistens Partner, bestimmte Mittel, Training, gute Umstände, etc. Erfolg braucht immer den Einsatz von etwas (anderem) und es bezieht sich immer auf etwas Zukünftiges, dass es zu erreichen gilt. Es beschreibt also immer eine „Zweck-Mittel-Relation“, wobei hier der Zweck der Erfolg ist. Aus Sicht desjenigen, der ein Ziel erreicht hat, ist dann die Zielerreichung ein Erfolg, also immer positiv. Kann man aber von Erfolg sprechen, wenn einer sein Ziel erreicht hat?

Wenn alle Menschen nach dieser Regel handeln würden, würde es schnell zu Konflikten kommen, weil Mittel und Ressourcen begrenzt sind und weil ja jeder auch eigene Ziele erreichen möchte, die zu den Zielen anderer u.U. konfliktär sind. Wenn Ziele nur noch Wegmarken individueller Bedürfnisbefriedigung ohne sozialen, ökologischen und wirtschaftlichen Nutzen für möglichst viele wären, würden auch immer weniger Partner, Unterstützer oder wie Götz Werner sagen würde, „Ermöglicher“ zur Verfügung stehen. Hier wäre sich jeder selbst der Nächste. Es würde nicht funktionieren. Deshalb darf Erfolg nicht nur am Grad der Zielerreichung gemessen werden, sondern muss immer auch am Mitteleinsatz, an der Ziellegitimation und an der Verträglichkeit mit anderen Zielen beurteilt werden:

    • Sind die Mittel, die ich zur Zielerreichung anwende, von ihrer Art und von ihrem Umfang her angemessen
    • Wem nutzt mein Erfolg, nur mir oder auch anderen?
    • Schädigen meine Ziele möglicherweise legitime Ziele und Bedürfnisse anderer Menschen?

Die Angemessenheit der Art bezieht sich darauf, ob und inwieweit das eingesetzte Mittel legitim, also ethisch zu rechtfertigen ist. So wäre die Zielerreichung durch Ausnutzung eines Abhängigkeitsverhältnisses, also durch eine aggressive Ich-Durchsetzung in einem nicht akzeptierten Machtverhältnis, jedenfalls kein legitimer Mitteleinsatz. Ebenfalls der Diebstahl von geistigem Eigentum oder ein Plagiat wären kein legitimer Mitteleinsatz zur Zielerreichung z. B. bei der Entwicklung eines neuen Produkts.

Die Angemessenheit des Umfangs bezieht sich darauf, ob und inwieweit die Menge der zur Zielerreichung eingesetzten Mittel im Verhältnis zum Nutzen verhältnismäßig ist (z.B. der Mitteleinsatz zur Durchführung der Olympischen Spiele in Peking im Verhältnis zum Nutzen für Staat, Gesellschaft und die Sportler). Die Grammatik des Erfolgs lautet also: Erfolg ist erst dann ein Erfolg, wenn der Mitteleinsatz und das Ziel legitim sind, er nicht auf Kosten anderer geht und möglichst viele andere ihre Ziele durch meine Zielerreichung auch erreichen können. Der Erfolg vieler schafft eher Entwicklung, der Erfolg weniger schafft eher Konflikte.

 

Unternehmenserfolg durch Macht oder Menschlichkeit?

Betriebswirtschaftlicher Erfolg ist immer auch eine rein mathematische Größe. Egal wie Erfolg letztlich definiert wird, muss am Ende des Quartals oder des Jahres der Ertrag höher sein als der Aufwand.

Die relevante Frage ist insofern nicht, wie man Erfolg im Einzelnen definiert, sondern wie man erfolgreich wird, und was die Voraussetzungen für wirtschaftlichen Erfolg sind.  Sind es die charismatischen Narzissten, die andere mitziehen und ein Projekt zum Erfolg treiben, sind es die Beschäftigten, die sich mitziehen lassen und „gehorchen“, sind es die Rücksichtslosen, die durchsetzungsstark ohne Rücksicht auf Verluste den eigenen Willen oder den der Geschäftsleitung durchsetzen oder sind es alle Beschäftigten, die gut und gerne miteinander kooperieren und kollaborieren?

 

Menschen sind die Basis allen Erfolgs

Kein Unternehmen kann ohne Menschen, ohne seine Beschäftigten, ohne seine Kunden und Lieferanten irgendetwas unternehmen. Die Basis allen Erfolgs ist der Mensch. Um Erfolg zu haben, muss das Handeln dieser Menschen auf Ziele hin koordiniert und gemanagt werden. Beschäftigte arbeiten alleine und zusammen, sie kooperieren oder intensiver, sie kollaborieren. Je größer das Unternehmen und je komplexer die Produkte und Dienstleistungen, desto höher ist die Steuerungskomplexität. Manche Unternehmen meinen diese Komplexität durch Hierarchie reduzieren zu können, andere durch ziel- und aufgabenbezogene Projekte, wieder andere durch selbstorganisierte Teams und Bereiche mit (kollektiver) Ergebnisverantwortung. Gemeinsam ist allen die Zusammenarbeit, egal ob auf Anweisung, kooperativ oder kollaborativ. Aber unter welchen Voraussetzungen arbeiten Menschen gerne und gut (zusammen)?

 

Motivatoren für gute Arbeit und Zusammenarbeit

Die Neuropsychologie und die Verhaltensökonomie geben hier klare Hinweise:

    • wenn der Beschäftigte wertgeschätzt, wahrgenommen und in Entscheidungen einbezogen wird;
    • wenn der Beschäftigte in dem, was er tut, einen Sinn sieht;
    • wenn er das Gefühl hat, sich als Mensch und Mitarbeiter entwickeln zu können;
    • wenn er einen psychologischen, sozialen oder auch materiellen Nutzen hat oder einen solchen erwartet;
    • wenn er in einer positiven Weise für andere wirksam werden kann.

Der Nutzen, der zu einer dauerhaften Zufriedenheit und Motivation führt, ist aber immer ein psychosozialer, nie ein materieller Nutzen, der allenfalls kurzzeitig zur Motivation und damit auch zu einer guten Zusammenarbeit führt. Es sind die Motivatoren Anerkennung, Sinn, Wirksamkeit und Partizipation. Diese Erfolgsfaktoren beschreiben allesamt Arbeitsbedingungen und Führungsaufgaben, die das „Du“ in den Fokus stellen und nicht das „Ich“ der Führungskraft. Management und Führungskräfte sollten ermöglichen und dienen, um Erfolg zu haben. Eigentlich selbsterklärend und umso erstaunlicher, dass viele Unternehmen diesen Befund immer noch ignorieren.

 

Macht zerstört Beziehungen und Motivation

Führungskräfte, die überwiegend aus ihrer Machtposition heraus agieren, zerstören tendenziell Beziehungen, weil sie den Anderen nur als „Mittel zum Zweck des eigenen Erfolgs“ sehen und ihn so als Mensch missachten und degradieren. Dadurch verhindern sie eine Beziehung, die auf Vertrauen aufbauen könnte und kultivieren eine Beziehung, die auf Befehl und Gehorsam oder auf Manipulation basiert. Sie zerstören dadurch auch die Bereitschaft zur Zusammenarbeit, weil sie eine Kultur der Angst vor Bestrafung, „Nichtbelohnung“ und Missachtung schaffen, die bewirkt, dass jeder nur noch auf das Seine und nicht auf das des Anderen schaut. Führen aus Macht zerstört Vertrauen und Zufriedenheit und dadurch die Motivation zur Zusammenarbeit, die die Basis für wirtschaftlichen Erfolg ist. Jedem Unternehmen, das auf durchdringende Hierarchie setzt, muss klar sein, dass es der destruktiven Variante der regellosen und nicht auf Akzeptanz aufgebauten Macht eine Arena gibt.

 

 Fazit

Was anderes als Menschlichkeit ist das, den Mitarbeiter nicht nur in seiner Rolle, sondern auch als Mensch, mit seinen Stärken und Schwächen, mit seinen Eigenheiten und Kanten, mit seinen Widersprüchen anzunehmen und zu versuchen ihn mit dem Unternehmensziel zu verbinden. Es ist das „Du“, das manchmal auch „Schwierige“, dass da angefragt wird, für das man sich interessiert. Es ist nicht das Ich, das sich durchsetzt. Ja, Menschlichkeit ist die Voraussetzung von Unternehmenserfolg. Die Unternehmen, die Psychopathen, Machiaviallisten, Narzissten in ihren Chefetagen und Führungspositionen gewähren lassen, werden über kurz oder lang untergehen, auch wenn man es sich, die Amazons dieser Welt vor Augen, kaum vorstellen kann.

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